Dorfleben in 5 Akten

Dorfleben in 5 Akten

Das ungarndeutsche Dorf Újbarok/Neudörfl im Komitat Fejér/Weißenburg liegt zirka 40 km von Budapest entfernt, hat 420 Einwohner und seit 1994 eine deutsche Minderheitenselbstverwaltung, bzw. eine Nationalitätenselbstverwaltung.

Seit 1773 leben schwäbische Familien in der Gemeinde. Die Kolonisten wurden aus Pilisvörösvár/ Werischwar und Felsőgalla/Obergalla ins Dorf übersiedelt. Das heißt, Neudörfl ist nicht direkt besiedelt worden, sondern es ist eine Zweitsiedlung.

Am 11. Mai 1946 wurden aus dem Dorf 222 Einwohner nach Deutschland ausgewiesen. Die Vertriebenen haben ihre alte Heimat nie vergessen und eine neue Heimat in Deutschland gefunden. Sie hatten regelmäßig Kontakt zu ihrem Heimatdorf.

Das Leben der Gebliebenen war auch schwer. Und sie pflegen die Traditionen der Ungarndeutschen trotzdem weiter, führen ihr Leben weiter als wäre nichts passiert.

Bewahren der Sitten und Bräuche

Viele Traditionen und Bräuche nahmen die Ahnen der Ungarndeutschen mit in die neue Heimat, als sie in Ungarn angesiedelt wurden. Sie hatten ihre Sprache, ihre Kultur, die Lieder und die Gewohnheiten, Speisen mit der Zeit bewahrt. Neue Impulse in der neuen Heimat bereicherten diesen Prozess und rundeten die Ansiedlung ab.

Die Vertreibung nach dem zweiten Weltkrieg bedeutete eine große Veränderung. Man versuchte, sich ganz anzupassen. Es wurde in den Familien Ungarisch gesprochen, die Devise lautete: Nicht aufzufallen!

Die Traditionen blieben trotzdem erhalten. Zu Hause wurden die alten Lieder noch immer gesungen, die Tänze wurden weiter getanzt, die Blasmusik wurde immer wieder gespielt. Langsam durfte man auch Vereine bilden, wo die Traditionspflege weiter geführt wurde.

Auch in Neudörfl entstand ein Nationalitätenchor, der die alten Lieder sammelte und sang. Kapellen gab es schon immer, die braucht man zu Hochzeiten, Bälle und zu verschiedenen anderen Familienfesten. Die Hilfe der damaligen Landesselbstverwaltung war sehr groß, das Engagement der Bewohner noch größer.

Heutzutage hört man noch den Liederkreis. Im Dorf treten sie manchmal auf. Die Schüler haben die Möglichkeit, in der Schule Musik zu lernen. Alle Schüler, Kindergartenkinder, die tanzen wollen, sind in der Saarer Tanzgruppe herzlich willkommen.

Das Bewahren der Traditionen wird zu verschiedenen Veranstaltungen wie zum Beispiel Sülze-Party, Pfingstfest, Septemberfest, Oktoberfest, Martini-Tag, Adventskonzert und andere Programme ausgeübt.

Foto: Sülze-Party

Heimatmuseum saniert

Das erneuerte Museum steht am Dorfanfang, wird immer häufiger zu verschiedenen Anlässen als Gemeinschaftsraum benutzt.

Zuerst wurde im Dorf eine Heimatstube in einem Nebengebäude des Kulturhauses eingerichtet. Auf einmal wollte ein deutsches Ehepaar ihr von innen renoviertes altes Bauernhaus mit Schilfdach verkaufen und die zwei Selbstverwaltungen des Dorfes, die örtliche und die deutsche, kauften diese Immobilie.

Nach dem Kauf stellte sich heraus, dass das Dach schnell gemacht werden sollte, weil es veraltet war. So arbeitete ein Dachdecker einige Tage lang und die Instandhaltung erfolgte langsam, aber sicher.

Die gesammelten Gegenstände wurden im Paradezimmer und in der Küche ausgestellt, die Sammlung fotografiert und Inventur gemacht. Zur Eröffnung kamen viele Interessenten.

Mit Hilfe des Iván Darányi Plans kam es zur Renovierung, im Hof wurde ein Ofen aufgebaut, der Zaun und der eingebrochene Keller wurden neu gemacht, Fenster- und Türrahmen wurden gestrichen und das ganze Schilfdach wurde neu gedeckt.

Die Neueröffnung wurde mit einem kulturellem Programm im Garten des Hauses gefeiert. Seitdem kommen regelmäßig Besucher aus dem Inland und aus dem Ausland. Die Kindergärtnerinnen und die Lehrer der György Romhányi Grundschule aus Szár/Saar organisieren Volkskundeunterricht, Projektnachmittage und Wettbewerbe hierher. Die Schätze unserer Ahnen können die Kindergartenkinder und Schüler aus den beiden Gemeinden kennenlernen, die Gegenstände anfassen, und ihre Handhabung und Benutzung können erlernt werden.

Foto: Heimatmuseum

Foto: Spielen im Heimatmuseum

Foto: Schatztruhe im Museum

Kochwettbewerb und Backprofis mit Sauerkirschen

Schon seit fünf Jahren. Im Garten des Heimatmuseums versammeln sich Kochteams, die mit der Unterstützung der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung viele schmackhafte Gerichte zubereiten. Von der Gulaschsuppe bis zum Seklerkraut mit Bohnen konnte die Jury alles Mögliche kosten.

Die Backprofis verzaubern mit ihren Künsten die Anwesenden auch jedes Jahr. Schon seit drei Jahren. Und sie werden immer einfallsreicher. Zum ersten Mal gab es fast nur ganz einfachen Kirschkuchen, aber jedes Jahr wird die Palette der selbstgemachten Sauerkirschkuchen erweitert. Neue Rezepte werden miteinander getauscht, im Internet wird nach neuen Rezepten gesucht, damit man als Beste oder Bester gekrönt wird.

Während die Köche und ihre Gehilfen um den Kessel herum arbeiten, spielen die Kinder mit ausgewählten Spielsachen. Von der Rutsche bis zur Trampoline oder einer Kutschfahrt gibt es die Möglichkeit, Spaß zu haben.

2014 wurde ein Wettbewerb veranstaltet, wo die Teilnehmer – sowohl Kinder, als auch Erwachsene – das Sauerkirschkernschiessen zuerst geübt, dann es immer besser praktiziert haben.

Solche Programme, wo alle Generationen ihre Freizeit zusammen verbringen, helfen dabei, die Gemeinschaft aufleben zu lassen, voneinander zu lernen und sich wohler zu fühlen.

Foto: Kuchen aus Sauerkirschen

Foto: Sauerkirschkernschiessen

Fotoalbum – Bildergeschichte eines schwäbischen Dorfes

Mit der Einweihung der ehemaligen Heimatstube von Neudörfl kamen alte Schwäbinnen zu den Mitgliedern der damaligen Minderheitenselbstverwaltung und haben viele alte Fotos, die Schätze ihrer Familien angeboten, sie im Museum auszustellen. Es gab dort keine Heizung, die Selbstverwaltung hatte Angst, dass die Bilder kaputt gehen könnten, so stellten sie nur ein paar Stücke aus. Aber die Idee ist geboren: Alte Fotos müssen gesammelt werden.

Die Technik von heute half mit. Die Fotos wurden eigescannt und der Gemeinschaft gezeigt. In Form von einer Slideshow mit Kommentieren und als eine Ausstellung. Vergrößerte Fotos hingen überall im Kulturhaus, Besucher der Ausstellung erzählten über ihre eigenen Erlebnisse, über Leute, die sie auf den Fotos wieder erkannt haben.

Nach der Ausstellung blieben die Fotos hängen und die Selbstverwaltung begann sich darüber Gedanken zu machen, wie sie zu einer Unterstützung kommen könnte, um ein Buch mit den Fotos herauszugeben. Mit finanzieller Unterstützung von EMET ist ein Fotoalbum zustande gekommen, damit die junge Generation die Geschichte des Dorfes, die Geschichte der Familien, die Bräuche, die Lebensweise unserer Ahnen kennenlernen kann.

Natürlich ist das Fotoalbum auch Zeitgeschichte. Die Lebensweise, die Tracht, die Arbeiten der schwäbischen Bauern, kirchliche und Familienfeste, Hochzeiten der ungarndeutschen Familien wurden festgehalten. Die Nachfolger, die spätere Generation kann davon lernen. Ihre eigene Geschichte, die Vergangenheit, damit sie die Gegenwart verstehen und ihre Zukunft selbst gestalten können.

Foto: Das Fotoalbum

Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung

  1. Das erste Wahljahr für die Minderheiten. Auch in Neudörfl kam es zur Wahl einer deutschen Minderheitenselbstverwaltung. Die Grundlagen wurden gelegt, die Arbeit begann, die Unterstützung half Kulturgruppen, sich weiterzubilden, Tracht nähen zu lassen, das Kulturgut der Deutschen am Heimatort zu sammeln.

Es gab keine Zusammenarbeit zwischen der örtlichen Selbstverwaltung und der Minderheitenselbstverwaltung, das Vorhaben der Deutschen Minderheitenselbstverwaltung wurde nicht akzeptiert. Ihre Pläne musste sie immer allein durchführen.

Heute geht es anders. Gespräche werden geführt, gemeinsame Projekte gestartet und durchgeführt. Die Bereitschaft, etwas miteinander auf die Beine zu stellen, wächst. Aber eins ist sicher. Die Arbeit, womit man angefangen hat, wird fortgesetzt. Es gibt viele, die mitmachen und das Leben und die Minderheitenarbeit für wichtig halten.

Die erfolgreichsten Projekte waren der Bus „Essen auf Rädern“ mit den Selbstverwaltungen von Saar, die Heimatstube, das Heimatmuseum und das Fotoalbum. Außerdem die zahlreichen Feste, wo die Kulturgruppen der Region ihr Können der Gemeinschaft zeigen können.

Die Arbeit geht weiter. Das Dorf beleben die Programme, sei es ein ungarndeutsches oder ein anderes. Auf geht’s!

Ch.P.

Foto: Denkmal der Vertreibung

Foto: Ausstellung – Alte Fotos

Foto: Ausstellung-Handarbeit